Was ist Betriebsfestigkeit?

In der Werkstoffkunde beschreibt die Betriebsfestigkeit die Festigkeit eines Bauteils oder einer Baugruppe gegenüber einer bestimmten Belastung. Diese Fähigkeit von Bauteilen, statische und dynamische Lastwechsel aufzunehmen und zu absorbieren, wird im Vorfeld berechnet und fließt maßgeblich in die Konstruktion mit ein.

Unterschiedliche Berechnungs- und Testmethoden können als Versuchsaufbau herangezogen werden, um ein Materialversagen im Vorfeld zu erkennen und diesem entgegenzuwirken.

Der Betriebsfestigkeit steht die Dauerfestigkeit gegenüber und wird häufig mit ihr verwechselt. Oft bedingt eine betriebsfeste Auslegung erst die Funktion eines Bauteils. So kann ein Flugzeug nur fliegen, weil die verwendeten Teile auf eine spezifische Haltbarkeit hin optimiert sind. Wäre es dauerfest ausgelegt, so könnte es nicht fliegen, weil eine dauerfeste Auslegung der Bauteile das Flugzeug schlichtweg zu schwer werden lassen würde.

Was Betriebsfestigkeit erreichen will

Die Betriebsfestigkeit ist eine übergreifende Disziplin des Maschinenbaus und der Werkstoffwissenschaften, die danach strebt, die Festigkeit eines Bauteils oder einer Baugruppe nach wirtschaftlichen Faktoren zu bestimmen. Hierbei wird das Ziel verfolgt, die Konstruktion eines Bauteils so zu berechnen, dass der Materialaufwand möglichst gering ausfällt. Dies führt dazu, dass Kosten gesenkt werden, während gleichzeitig Nutzlasten erhöht werden. Je nach Auslegungsfeld kann so Treibstoff eingespart oder eine Nutzung von Bauteilen überhaupt erst ermöglicht werden. Besonders wirtschaftlich spielt die Betriebsfestigkeit eine große Rolle. Wenn z.B. die Lebenszeit eines Motors, der dauerfest ausgelegt wäre, die der Karosserie überdauern würde, wäre dies unwirtschaftlich. Neben diesen Aspekten, kommen aber auch der nachhaltige Aspekt dazu: Betriebsfest ausgelegte Bauteile sind i.d.R. leichter und effektiver als dauerfeste und verbrauchen damit in ihrem Anwendungsrahmen weniger Ressourcen.

Wie sich Dauerfestigkeit von Betriebsfestigkeit unterscheidet

Die Dauerfestigkeit verfolgt eine grundlegend andere Auslegungsphilosophie als die Betriebsfestigkeit. Ist ein Werkstoff oder ein Bauteil dauerfest ausgelegt, ist die Steigung auf der Wöhlerkurve sehr klein oder je nach Werkstoff gleich Null. Bei der Betriebsfestigkeit hingegen wird ein Bauteil, eine Baugruppe oder ein Werkstoff so ausgelegt, dass eine spezifische Belastung für einen vorher festgelegten Zeitraum erreicht werden kann. Auf der Wöhlerkurve ist die Betriebsfestigkeit dann im Bereich der Zeitfestigkeit angesiedelt. Innerhalb des Belastungskollektivs einer Baugruppe sind aber durchaus Belastungsbereiche enthalten, die darauf ausgelegt sind, dass ein Werkstoff diesen Belastungen dauerhaft ausgesetzt sein kann. Es ist Auslegungspraxis, dass eine statische Auslegung eines Bauteils genügt, wenn die Belastung in sehr kleinen Frequenzen oder mit weniger als 10.000 Lastwechseln erfolgt. Prüft man auf Dauerfestigkeit, wird ein Werkstück mit sehr vielen Lastwechseln einer bestimmten Lastamplitude belastet. Ist ein Bauteil hingegen betriebsfest ausgelegt, verändert sich die Lastamplitude, und auch die Reihenfolge der Belastungen kann willkürlich sein. Diese Belastung nennt man „klassiertes Lastkollektiv“.

Die Stellschrauben der betriebsfesten Auslegung eines Bauteils

Bei einer betriebsfesten Auslegung eines Bauteils gilt es die folgenden Faktoren zu beachten: Vorab muss die zu erreichende Lebensdauer eines Bauteils festgelegt werden. Diese Zielbelastungsgrenze liefert die Basis der Berechnung zur Betriebsfestigkeit. Ebenso spielt auch die Beanspruchung über Zeit eine Rolle. Neben diesen Faktoren müssen Werkstoffkennwerte, die Konstruktion der Bauteile sowie die thermischen Einflüsse in der Fertigung bei den Berechnungen beachtete und ggf. angepasst werden.

Die drei Bemessungskonzepte der Betriebsfestigkeit

Es gibt drei Betriebsfestigkeits-Bemessungskonzepte für betriebsfest auszulegende Bauteile und Baugruppen. Diese Konzepte sind das Nennspannungskonzept, das Strukturspannungskonzept sowie das örtliche Kerbgrundkonzept. Um in der Praxis die Betriebsfestigkeit zu errechnen, wird oft mit Materialwöhlerlinien und errechneten Kerbfaktoren gearbeitet. Die Materialwöhlerlinien werden aus Materialproben gewonnen. Die Kerbfaktoren können zum Beispiel der FKM – Richtlinie entnommen werden. Die hier genannten Konzepte verfolgen verschiedene Ansätze. Je nach Anwendungsfall muss das richtige Konzept ausgewählt werden.

Rechnerische Abschätzung und Bauteillebensdauer im Versuch

Die Simulation von Lasten und daraus resultierenden Belastungen gewinnt heute zunehmend an Bedeutung. Die Simulation von Belastungen (Spannungen) in Bauteilen und Baugruppen wird unter dem Begriff Finite-Elemente-Methode (FEM) zusammengefasst.

Die Finite-Elemente-Methode (FEM) gibt die statische Belastung in bestimmten Betriebszuständen an und ist somit die Grundlage für eine betriebsfeste Auslegung. Für die Ermittlung der Bauteillebensdauer muss ein genau definiertes Belastungsmuster, ein Belastungskollektiv, bestimmt werden. Aus diesem Belastungsmuster leitet man verschiedene statische Belastungen in unterschiedlichen Betriebszuständen ab. Nachdem diese Daten vorliegen, wird die Häufigkeit der einzelnen Belastungen während der Lebensdauer des Bauteils oder der Baugruppe gezählt. Die Spannungshäufigkeit wird in eine Schädigung umgewandelt und akkumuliert. Zur Akkumulation können verschiedene Verfahren wie zum Beispiel Palmgren, Langer oder Miner verwendet werden. Diese drei Verfahren sind die bekanntesten und in der Praxis gängisten Verfahren. Diese Verfahren weisen teilweise denselben Spannungen unterschiedliche Schädigungen zu. So fällt bei Anwendung eines Verfahrens eine Belastung in den Bereich der Dauerfestigkeit, welche bei der Anwendung eines anderen Verfahrens in die Zeitfestigkeit fällt. Das bedeutet, dass die Verfahren den Belastungen teilweise unterschiedliche Schädigungen zuweisen.

Nachfahrversuche und klassierte Belastungen

Um die Betriebsfestigkeit zu prüfen, können unterschiedliche Verfahren herangezogen werden. Grundsätzlich kann man zwischen Nachfahrversuchen und klassierten Versuchen unterscheiden. Beide Versuchsansätze verfolgen hierbei unterschiedliche Herangehensweisen. So wird bei Nachfahrversuchen ein Signal aus vorrausgegangenen Tests bzw. Realbelastungen auf einem Prüfstand simuliert. Hierbei simuliert man z.B. Belastungsdiagramme mit zeitlichem Verlauf oder Richtungsänderungen, um die reale Belastung auf ein Bauteil nachzuahmen.

Bei Versuchen mit klassierten Belastungen wird die Häufigkeit der Lastwechsel gemessen und zusammengefasst. Belastungen von Spannungshöhen werden gemeinsam und linear hintereinander abgefahren. Beim Nachfahrversuch können die Spannungshöhen aber zu unterschiedlichen Zeiten im Ablauf auftreten. Bei klassierten Versuchen geht man davon aus, dass geringe Spannungen nur wenig Auswirkungen auf ein Bauteil haben. Daher sind diese oft im Versuch vernachlässigt. Durch die klassierte Belastung kann ermittelt werden, wie groß die Gesamtschädigung des Kollektivs ist. Es gibt unterschiedliche Zählverfahren, Klassierungen wie zum Beispiel die Rainflow-Klassierung, Spitzenzählung, Bereichspaarzählung und die Klassengrenzenüberschreitungszählung. Die Rainflow-Klassierung findet in der Praxis die häufigste Anwendung. Die Überlebenswahrscheinlichkeit wird hierbei aus der Wöhlerkurve entnommen. Es werden Teilschädigungen des Spannungskolletivs, also einem Kolletiv aus verschiedenen Belastungen, die Spannungen am Bauteil hervorrufen, akkumuliert. Ist eine bestimmte Schwelle an Schädigungen überschritten, ist das Bauteil mit einer definierten Wahrscheinlichkeit kaputt.

Einflüsse auf die Betriebsfestigkeit eines Bauteils oder einer Baugruppe

Hier finden Sie eine Auswahl der größten Einflüsse auf die Betriebsfestigkeit:

  1. Belastung (Zug, Druck, Torsion, Biegung)
  2. Oberflächengüte (Rauhtiefe usw.)
  3. Konstruktive Kerben (Radien und Gewinde und deren Parameter)
  4. Temperatur
  5. Bestimmungsgemäßer Gebrauch/ Missbrauch
  6. Fertigungsverfahren (Schweißen, Schrauben, Span-ziehend, Span-drückend etc.)
  7. Oberflächenbeschichtung
  8. Materialzustand (vergütet, gehärtet usw.) und Materialgüte

Um die Betriebsfestigkeit eines Bauteils zu beeinflussen, spielt schon die Wahl des Materials eine große Rolle. Wie dieses gehärtet bzw. vergütet ist hat Einfluss auf die Lebensdauer eines Bauteils. Auch die Beschichtung und die Güte der Oberfläche hat große Auswirkungen auf die Festigkeit. Hat man alle oben genannten Faktoren bedacht, bilden konstruktive Kerben in Bauteilen eine Stellschraube in Bezug auf die Betriebsfestigkeit. So können gewählte Radien und Gewindearten ein Bauteil schwächen oder stärken. Welche Druck- und Zugkräfte bei der Fertigung auf ein Bauteil wirken oder ob Hitze angewendet wurde beeinflusst ebenso das Material. Veränderung in der Temperatur kann die Güte eines Stahls verändern und muss somit auch eine Beachtung finden. Allerdings sind auch temperaturtechnische Umwelteinflüsse mit zu bedenken. Sind all diese Komponenten beachtet worden ist es letztlich aber auch der bestimmungsgemäße Gebrauch, der die Lebensdauer eines Bauteils beeinflusst. Also welche Belastungen schließlich auf ein Bauteil einwirken und ob es für diese Kräfte ausgelegt und konzipiert worden ist.

Bruchmechanik: Der Weg vom Anriss bis zum Bruch

Die Bruchmechanik, die zum Versagen eines Bauteils führt, ist ein umfangreiches Forschungsgebiet und wird von vielen Faktoren beeinflusst. Grundsätzlich wird jedoch zwischen drei Szenarien unterschieden. Ein Gewaltbruch an einem Bauteil führt zum spontanen Versagen. Bei einem Bruch, der durch die Betriebsbeanspruchung entsteht, entwickelt sich zunächst ein initialer Anriss mit langsamen Risswachstum. Übrig bleibt eine Restbruchfläche, die spontan brechen kann. Ein Anriss geschieht ohne endgültigen Bruch des Bauteils. Hierbei reicht die Belastung auf die Schwachstellen nicht für ein Weiterwachsen aus.

Vier große Irrtümer der Betriebsfestigkeit

Bei der betriebsfesten Auslegung von Werkstoffen kommt es immer wieder zu Irrtümern. Hier die vier Größten:

  1. Ermüdungsbrüche kommen meist ohne Vorankündigung und haben oft katastrophale Folgen (z.B. ICE-Unglück in Eschede)
  2. Optisch ansprechende und praktikable Konstruktionen sind nicht immer dynamisch haltbar
  3. Zyklische Dauerbelastungen schädigen ein Bauteil mehr als statische Belastungen
  4. Statische Ausfallorte sind mit gleich dynamischer Ausfallorte

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